Geranium (Rasmus Kofoed) - Kopenhagen

Meinen Bericht über das Geranium anders zu beginnen, als viele der geschätzten Kollegen es tun, fällt schwer. Schliesslich ist die Location dieses Restaurants so aussergewöhnlich, dass man eigentlich fast darüber sprechen muss. Es befindet sich nämlich in einem Fussballstadion. Genauer gesagt auf der 8. Etage des Stadions Parken, Heimstätte des FC Kopenhagen sowie der dänischen Fussballnationalmannschaft. Doch viel interessanter als diese unumgängliche Anekdote ist der Fakt, dass das Restaurant vom ehemaligen Bocuse d'Or Gewinner Rasmus Kofoed als erstes Restaurant in Dänemark mit 3* Michelin Sternen bedacht wurde. Mit dieser Auszeichnung kann sich im hohen Norden lediglich noch das Maaemo in Oslo schmücken. Glücklicherweise habe ich meinen Tisch bereits einige Tage vor Erscheinen des 2016er Nordic Cities Guide (in welchem die "Skandinavischen" Länder zusammengefasst sind) reserviert.
Nun stehe ich also an einem sonnigen Samstagmittag vor diesem riesigen Fussballstadion. Der Lift fährt direkt zum Restaurant im 8. Stock. Die freundliche Empfangsdame führt mich zu meinem Tisch, der einerseits einen tollen Ausblick auf die komplett offene Küche gewährt, andererseits einen Blick auf die stattliche Parkanlage freigibt, in welcher sich das Stadion befindet.
In Dänemark's einzigem 3-Sterne-Restaurant gibt es weder eine Menüauswahl, noch à la carte Gerichte. Rasmus Kofoed serviert lediglich ein Menü, welches heute 18 Gänge umfasst. Ich schätze es sehr, wenn ich mich komplett in die Hände der Küche geben kann, und bin ausserordentlich gespannt darauf, was in den nächsten drei Stunden so alles vor mir auf dem Tisch landen wird. Bevor der erste Gang serviert wird, geniesse ich bei einem Glas der ausgezeichneten Cuvée Classique 2010 von Nyetimber aus West Sussex die Aussicht auf das rege, dabei aber stets sehr ruhige, Treiben in der Küche.

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Steinpilzsuppe mit dunklem Weizenbier
Los geht's mit einer Suppe. Nachdem ich mir den ersten Schluck zu Gemüte geführt habe, muss ich die Tasse wieder absetzen, da ich den Platz benötige, um meine Kinnlade auf den Tisch fallen zu lassen. Was ist das nur für eine Tiefe? Unglaublich. So kraftvoll, dabei unheimlich delikat. Das wuchtige Pilzaroma wird durch die subtile, erfrischende Säure des Weizenbiers ergänzt. Eine Suppe, wie sie besser nicht sein könnte. Fünf kleine Schlucke für die Ewigkeit.

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Topinambur-Blätter, Walnussöl & Roggenessig
Sehr hübsch, die Topinambur-Blätter. Der süssliche Geschmack der Erdknolle kommt bei diesem hauchdünnen Gebilde erstaunlich gut zur Geltung. Die knusprigen Blättchen zieht man durch eine Art Mayonnaise, die durch Walnussöl und Roggenessig verfeinert wird. Leicht und lecker.

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Tomatenwasser, Schinkenfett & Aromatische Kräuter
Was Rasmus Kofoed aus seinen zweifellos tollen Produkten so alles rauskitzelt, ist schwer beeindruckend. Spätestens beim dritten Gang wird dies so richtig offensichtlich. Die Tiefe des Tomatengeschmacks ist bemerkenswert. Die Harmonie mit dem süffigen Schinkenfett sowie allerlei Kräutern und Blüten absolut perfekt. So unwahrscheinlich es beim ersten Anblick erscheint, dieses Gericht hinterlässt einen massiven Eindruck. Es fällt mir schwer in Worte zu fassen, wie nachdringlich sich der Inhalt dieses Schälchens in meinem Unterbewusstsein verankert hat. Grandios.

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Königskrabbe, Milch & Saft von fermentierten Karotten und Sanddorn
Die Welt der flüssigen Wunder wird noch nicht verlassen. Wie die Küche hier im Geranium ein grosses Ganzes schafft, ohne dabei die einzelnen Zutaten zu vernachlässigen, habe ich in dieser Form wohl noch nicht erlebt. Man schmeckt jede einzelne Zutat glasklar heraus, als ob sich das Gericht sich um diese eine Komponente drehen würde. Und jeder dieser Geschmäcker ist einfach nur wundervoll. Noch fantastischer ist jedoch deren Zusammenspiel. Pure Harmonie durch ein subtiles Schichten von Aromen. Adjektive wie süss, kräftig, wild, frisch verschwimmen zu einem Wort: Weltklasse.

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Verkohlte Kartoffel in Borkenaroma & Schafbutter
Auf höchstem Niveau geht's weiter. Trotz gänzlich verkohltem Look überlagert der Holzkohleduft den äusserst delikaten Geschmack der Erdknolle nicht. Was bei diesen wundervoll nussigen Erdäpfeln auch eine Schande gewesen wäre. Verstärkt wird der nussige Eindruck durch ein phänomenale Schafbutter, die zusätzlich für einen luxuriösen Schmelz sorgt. Kartoffeln und Butter, mehr braucht es nicht für Gerichte von allerhöchster Güte.

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"Dillstein", Meerrettich & gefrorener Saft von Dill und gepickelter Gurke
Ein Klassiker des Hauses ist der mit Makrele gefüllte Dillstein. Die dünne Gelschicht ist ein schönes Beispiel dafür, wie man solche Techniken sinnvoll anwenden kann, und nicht nur des Effekts wegen. Der Inhalt überzeugt durch die präsente Note des leicht fetten Fischs und die erfrischenden Nuancen von Dill und leicht säuerlicher Gurke. Im Schälchen befindet sich ein ätherisch-vollmundiger Dillschnee, der den Dillstein zusammen mit dem leichten Meerrettichschaum toll abrundet.

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"Schwertmuschel" mit Sauerrahm & Petersilie
Nun folgt eine Imitation einer Schwertmuschel mit essbarer Schale. Im hohen Norden ist allein die Qualität der Meeresfrüchte immer wieder eine wahre Wonne. Die rohen Muscheln sind süss und absolut rein im Geschmack. Man sieht beim Essen dieser Mollusken die eiskalten Gewässer vor sich, in denen sie gefangen wurden. Kombiniert mit etwas gekühltem Sauerrahm sowie der erdig-grünen Petersilie ergibt sich ein überraschend komplexes Geschmacksbild. Was Rasmus Kofoed aus wenigen Zutaten zaubert, welche Harmonie auf jedem Teller herrscht, und wie deren Zusammenspiel neue, hochkomplexe Geschmackswelten entstehen lässt, ist einfach atemberaubend.

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Auster & Seehasenrogen, getrocknete Auster & geräucherter lokaler Käse
Nach dem ersten Bissen dieses Gangs bin ich überrascht von der Harmonie der einzelnen Elemente. Beim lesen machte ich mir ein wenig sorgen wegen des Käse, doch das zu einer Sauce verarbeitete Milchprodukt ergänzt die jodige, fette Auster klasse. Das vegetabile Grünzeug obenauf sorgt für etwas texturelle Abwechslung. À part gibt es noch eine Tartelette mit getrockneter Auster sowie Seehasenrogen, die intensiv-meerig schmeckt. Schön.

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Gesalzener Seehecht, Petersilienstängel & Finnischer Kaviar in Buttermilch
Was für eine Schönheit dieses Gericht doch ist. Die Vorfreude wird durch die Präsentation nochmals erhöht. Ich erkunde mit meiner Gabel, was sich hinter dem hübschen Äusseren verbirgt. Dass es so eine Wucht werden wird, war trotz der überaus ansprechenden Optik nicht zu erwarten. Ich bin hin und weg. Wie der delikate Seehecht trotz der hocharomatischen Mitstreiter nicht untergeht ist bemerkenswert. Auch die Kombination mit der leicht säuerlichen Buttermilch, den nach frisch gemähter Wiese schmeckenden Petersilienstängeln sowie des tollen, nur mild-jodigen, dezent salzigen Kaviars ist unbeschreiblich gut. Ein Gericht zum schwelgen und sicherlich eines der besten, interessantesten Kaviargerichte, das ich jemals gegessen habe.

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Knuspriges Getreide, Brot mit altem Getreide & Glutenfreies Brot mit Samen
Wie in Skandinavien oftmals üblich, wird auch im Geranium das Brot als eigener Gang serviert. Zurecht, wie sich zeigt. Das noch warme Brot könnte besser nicht sein. Sogar die etwas trocken anmutenden "Brotstangen" mit Käse sind ein Hochgenuss. Glücklicherweise wird das Brot integraler Teil dieses Lunchs.

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Lauch, wilde Kräuter, geschmolzenes Schweinefett, gesalzener Bärlauch & geschmolzener "Vesterhavs" Käse
Denn auch beim folgenden Gang gibt es wieder eine Flüssigkeit, die aufzutunken sich lohnt. Über das wunderhübsche Arrangement diverser Kräuter sowie eines Eigelbs wird erneut eine Art Käsesauce angegossen. Wer nun denkt, dass sich gewisse Elememte wiederholen oder ähneln, den kann ich beruhigen. Für gustatorische Abwechslung ist gesorgt. Diese Käsesauce ist ungleich leichter und etwas weniger würzig als die Vorherige. So erschlägt sie die subtileren Aromen nicht, sondern verbindet sich mit ihnen in der bestmöglichen Weise zu einem unheimlich schmackhaften Ganzen. Damit der Teller trotz Käse und Schweinefett nicht zu schwer wirkt, sorgen zuerst mal die grünen Kräuter für Erfrischung. Doch man hat sich in der Küche auch zum Thema Ei seine Gedanken gemacht. Das Eigelb wird nämlich im Essig gegart und sorgt für zusätzliche Leichtigkeit. Es sind genau diese Details, die die Küche von Rasmus Kofoed auszeichnen und dafür sorgen, dass auch dieses Gericht sich in höchsten kulinarischen Sphären bewegt.

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Jakobsmuschel, Selleriesaft, getrockneter Jakobsmuschelrogen, gepickelter Holunder
Der Purismus, der das Geranium in grossen Teil prägt, zeigt sich auch beim nächsten Teller. Als erstes fällt die optische Simplizität auf. Reduktion aufs Wesentliche ist angesagt. Genau das Richtige, wenn man so ein grossartiges Produkt wie diese Jakobsmuschel aus Norwegen präsentieren möchte. Die fleischige, süsse Muschel wird durch den mit reichlich Butter und Muschelsaft verfeinerten Selleriesaft toll untermalt. Der Rogen sorgt für eine salzige Komponente, der gepickelte Holunder für eine leicht adstringierende Säure. Ein sensorisches Gesamterlebnis, das einer Flutwelle gleicht. Spektakulär.

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Gegrillte Entenherzen, Topinambur, Sonnenblumenkerne & Trüffel
Das Menü pirscht sich an den Hauptgang heran. Die Geschmackswelt wird auf einen Schlag dunkler, wuchtiger, erdiger. Dass die gegrillten Entenherzen über allen Zweifel erhaben sind, bedarf eigentlich keiner Erwähnung mehr. Perfekt gegrillt und mit angenehmem Biss versprühen sie eine wild-ähnliche Intensität. Umspielt werden sie von einem mit Trüffeln aromatisierten Sud, der es in Sachen Intensität mit der aromatischen Innerei aufnehmen kann und den Eindruck von Wald, Wiese und Moor intensiviert. Verstärkt wird dieses Bild durch den Topinambur, der zusätzlich zur erdigen auch eine süsse Note beisteuert. Eine leichte Abkehr vom bisher gezeigten, jedoch keinen Deut schlechter.

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Schwein, Birne, gepickelte Kiefer
Als erstes sticht mir beim Hauptgang das etwas eigentümlich aussehende Fleisch ins Auge. Es handelt sich hierbei um ein dünnes Filet, welches in farciertes Nackenfleisch eingearbeitet wird. Die Intention der Küche ist es, das dünne Filet medium gegart servieren zu können. Zusätzlich möchte man durch die Kombination mit der luftigen Umhüllung unterschiedliche Texturen zusammenbringen. In meinen Augen ein nur bedingt gelungenes Experiment. Das "Faux-Cordon-Bleu" schmeckt zusammen mit dem wunderbaren Jus und dem Birnenkompott zwar lecker, jedoch auch ziemlich eindimensional. Ganz abgesehen vom nicht gerade berauschenden Geschmackserlebnis, erschliesst sich mir der Sinn dieser Fleischzubereitung auch nicht wirklich. Warum dieses augenscheinlich gute Produkt so zerpflückt und dann wieder zusammengebastelt wird, statt es einfach als saftiges Ganzes zu servieren, entbehrt für mich jeglicher Logik. Schade.

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"Ein kleiner Frühlingsgeschmack" Rote Bete, Rhabarber, Joghurt & Samtblume
Der Start in den süssen Teil des Nachmittags bringt das Menü wieder auf Kurs. Dieser kleine Happen ist angenehm knusprig und süss-sauer-erfrischend. Genau das Richtige, um die Papillen auf die kommenden Desserts vorzubereiten.

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Bienenwachseis, Pollen & Honig mit Moltebeeren
Den Gipfel des Purismus erreicht Kofoed mit einem Eis. Wann gibt es in einem besternten Restaurant schon mal "einfach" ein Glacé zu geniessen? Ich kann mich an kein solches Erlebnis erinnern. Wenn man ein grosser Könner ist, braucht es eben nicht mehr. Ein solch vollmundiges Eis habe ich noch nie zuvor gegessen. Es ist angenehm süss, nicht klebrig. Ich nehme dezente florale Noten durch die Pollen wahr. Die Beeren steuern eine diskrete Säure bei, die man vor allem dadurch wahrnimmt, dass sie fehlen würde, wenn sie nicht hier wäre. Unglaublich lecker.

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Sauerklee & Waldmeister
Vor einigen Minuten habe ich noch gedacht, dass ich mich auf dem Gipfel der süssen Glückseligkeit befinde. Doch es geht noch höher hinaus. Denn als die ersten Aromen dieses schlicht betitelten, wunderschön präsentierten Desserts meinen Gaumen durchströmen, lässt mich die Ungläubigkeit kaum mehr los. Ich fühle mich wie ein Suchender, der sein Ziel gefunden hat. Diese Frische. Diese Leichtigkeit. Jedes einzelne, noch so kleine Stückchen dieses Desserts, ist genau so, wie es sein muss. Langsam, wie in Zeitlupe, geniesse Löffel um Löffel und denke dabei: Besser geht es nicht. Mein ultimatives Dessert findet genau jetzt statt. Genau hier. In einem Fussballstadion in Kopenhagen. Wahnsinn. Die Optik dieses Desserts soll übrigens den Frühling im Park vor den Fenstern des Geranium einfangen. Das satte grün der Wiesen, die blühenden Bäume im Frühling. Ein schöne Hommage.

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Karamell mit aromatischen Samen & Hagenbuttentee / "Preiselbeerbusch" / Kuchen mit Kürbiskernöl / Schokolade mit Hafer & Sanddorn / Grünes Ei mit Kiefer
Ich bin eigentlich wunschlos glücklich in diesem Moment. Doch der Service kommt mit einem breiten Grinsen an meinen Tisch. Ein letztes Mal gibt die Küche alles, damit ein denkwürdiges Essen mit einem fulminanten Finale abgeschlossen wird. Die diversen Petits Fours sind ausnahmslos weltklasse. Angefangen beim delikaten Karamell, der durch die Samen und den Tee eine ätherisch-süsse, an Finesse kaum zu überbietende Geschmackswelt freigibt. Weiter zum Preiselbeerbusch. Erfrischend-säuerlich, mit absolut reinem Aroma. Kürbiskernöl gibt einem kleinen Stück Kuchen eine ungeahnte Tiefe, die ich in dieser Art noch nicht erlebt habe. Schokolade, die durch Hafer eine knusprige Hülle erhält, um dann mit der grossartigsten Sanddornfüllung zum ersten Mal an diesem Mittag einen leicht säuerlichen Ausdruck auf mein Gesicht zu legen. Und das Ei, dieses Ei. Besser kann man solch unterschiedliche Aromen in einem schlicht umwerfenden Geschmackskonzept nicht zusammenfassen.

Nach drei Stunden sitze ich überwältigt von kulinarischer Glückseligkeit an meinem Tisch, beobachte durch die riesigen Fenster das Leben im Park, versuche dabei, das Erlebte zu verarbeiten. Das Geranium ist ein "richtiges" Dreisternerestaurant. Es ist nahezu makellos. Damit gehört es für mich in eine Kategorie, die noch ein Stückchen über allen anderen Dreisternern schwebt. Um Restaurants wie dieses zu finden und erleben zu dürfen, gehe ich essen. Hier finde ich als Gast diese extrem raren Momente höchsten Genusses, die mir bis jetzt weltweit vielleicht ein dutzend Mal widerfahren sind. Ein grösseres Kompliment kann ich dem Geranium nicht machen.


Geranium
Per Henrik Lings Alle 4
2100 Kopenhagen
Dänemark
+45 69 96 00 20
Website