Gustav (Antonio Colaianni) - Zürich

Verpasst. Das beschreibt meine Beziehung zur Küche von Antonio Colaianni wohl am besten. Der umtriebige Italo-Schweizer aus Bern wechselt gerne mal den Herd und bisher habe ich es nie in ein Restaurant geschafft, in dem er noch aktiv gewirkt hat. Verpasst habe ich ihn im Il Casale in Wetzikon genauso wie im Clouds oder im Mesa. Eigentlich ein Unding, aber irgendwie hat es zeitlich nie gepasst. Höchste Zeit also, diese kulinarische Nachlässigkeit aus der Welt zu schaffen, und den allseits geschätzten Chef in seiner neuesten Wirkungsstätte zu besuchen, dem Gustav in Zürich. Hier fungiert er seit etwas mehr als einem Jahr als Leiter der Gastronomie. An seiner Seite ein alter Bekannter, Antonino Alampi, der bereits im Il Casale mit ihm gekocht hat und im Gustav als Küchenchef agiert.
Das erste, was mir beim Betreten des Restaurants auffällt: es ist riesig! Ich kenne kein Lokal dieser Bewertungsstufe (16 Gault Millau Punkte und somit wohl im nächsten Guide auch ein Michelin Stern) in Zürich, das nur annähernd diese Masse bedienen kann. Bis zu 80 Gäste werden hier an einem Wochenendabend bewirtet. Beachtlich. Dennoch wirkt das Restaurant luftig, die Tische sind nicht aneinandergepfärcht. Was ebenfalls auffällt, ist die grosse Bar sowie ein Flügel. Die Gäste werden hier noch mit Livemusik versorgt. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das zuletzt in einem Restaurant erlebt habe.

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Wie angenehm es ist, eine anständige Bar im Haus zu haben, zeigt sich unmittelbar nachdem ich es mir mit meiner Begleitung am Tisch bequem gemacht habe. Chef de Bar Armando Archundia rollt mit einem Wagen vor und schlägt zum Aperitif einen Cocktail vor. Ich verzichte, da mir mehr nach Champagner ist, doch mein Gegenüber lässt sich einen Drink mixen. Einen köstlichen noch dazu, wie ich nach einem Probeschluck bestätigen kann. Dieses ganze Szenario erinnert mich an Restaurants wie das Eleven Madison Park, wo ein anständiger Cocktail vor dem Essen, wie in vielen Spitzenrestaurants der USA üblich, beinahe schon zum guten Ton gehört. Es gibt ganz sicher schlechtere Wege in den Abend zu starten.

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Erste Snacks erreichen den Tisch. Sardisches Brot mit Frischkäse und Tomate ist ein perfekter Einstieg in den Abend. Knusprig, würzig, elegant. Daneben befindet sich ein Tapiokachip mit Erbsencreme, eingelegter Rande und Kefenjulienne. Da spürt man den nahenden Frühling richtig am Gaumen. Sehr gut!

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Weiter geht's mit zwei Löffeldegustationen. Ein Wachtelei teilt sich den Platz mit weissen und grünen Spargeln. Ein leckerer Happen, bei dem die tollen Stängel unverfälscht glänzen können. Auf dem zweiten Löffel liegt Lomo Iberico mit einer Kohlrabicreme. Mundfüllend, regelrecht opulent ist dieser kleine Gaumenschmeichler, dabei aromatisch fein austariert.

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Den Abschluss der Snacks macht ein kleiner Berg frisch geschnittener Parmaschinken. Damit kann man natürlich wenig falsch machen. Ein grossartiges Produkt.

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Das Menü startet mit einem Klassiker Colaiannis: Kaninchenterrine mit eingelegten Pilzen, weisser Bohnencreme und geröstetem Bauernbrot. Diese leider immer seltener anzutreffende, klassische Präparation zieht mich vom ersten Bissen an in ihren Bann. Die fleischige Wucht, der es bei aller Kraft nicht an Noblesse fehlt, wird durch die passenden Begleiter schön akzentuiert, ohne dass sich die Beilagen in den Vordergrund drängen. So kann man sich voll und ganz auf das Pressfleisch einlassen, die verschiedenen Schichten erschmecken. Hier mal etwas Püree dazu, eine der Saucen, da ein eingelegter Pilz oder etwas Salat zur Abwechslung. Ein himmlischer Auftakt. Würde nicht noch ein komplettes Menü auf mich warten, könnte ich einem Supplement nicht widerstehen.

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Vom Land geht's Richtung Meer mit dem Steinfelsen-Hummer aus Tristan da Cunha vom Grill, Rauch-Peperonicreme, Artischocke, Catalogna und Chips. Der Hummer aus dem Südatlantik erfreut sich momentan grosser Beliebtheit. Warum, kann ich geschmacklich nur bedingt nachvollziehen. Treue Leser werden wissen, dass mich ein Hummer selten begeistert. Doch in diesem Fall muss er das glücklicherweise auch nicht. Denn der Star dieses Tellers liegt unter dem Edelkrebs: das Couscous. Diese simple nordafrikanische Griesszubereitung ist einfach phänomenal! Toll abgeschmeckt, mit ganz leichtem Biss und einer "orientalischen" Kräuternote, die ich nicht genauer definieren kann. In Kombination mit der Peperonicreme und dem Gemüse ein wahrer Hochgenuss. Dafür lasse ich jeden Hummer links liegen.

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Mit der Bouillabaise Gustav, Allerlei aus dem Meer, Brotchips und Rouille erreicht ein weiterer Klassiker des Hauses den Tisch. Die tiefrote Fischsuppe verströmt einen betörenden Duft, der mich augenblicklich an einen Hafen in Südfrankreich transportiert, an dem gerade die Fischer den Tagesfang reinbringen. Wundervoll, wenn nur schon der Geruch eines Gerichts solche Emotionen auslösen kann. Die Suppe schmeckt dann auch ganz hervorragend - aber nur bis etwa zum vierten Löffel. Ab dann verwandelt sich die zu Beginn als angenehm intensiv und kräftig empfundene Suppe mit jedem zusätzlichen Löffel weiter in ein kleines Salzmonster. Ich bin diesbezüglich sicher etwas zarter besaitet, als viele andere Esser. Doch auch meine Begleitung, die grundsätzlich eine grössere Vorliebe für salzige Speisen pflegt als ich, empfindet die Suppe zunehmend als zu salzig. Dadurch verliert die Bouillabaisse leider auch etwas ihrer Finesse. Dennoch ein sehr guter Gang - vor allem auch dank der abwechslungsreichen und qualitativ hochwertigen Meeresprotagonisten, die in der Suppe schwimmen.

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Ravioli mit Spargel, Ricotta, Parmesan, Salbeibutter und Morcheln schielt nun zum ersten Mal merklich in Richtung Heimat des Chefs. Der dünne, delikate Pastateig zeugt von jahrelanger Erfahrung - die klassische Kombination von Salbeibutter und Käsefüllung wird ergänzt durch etwas gebratenen Spargel sowie einige frische Morcheln. Geschmacklich ist das Ganze eigentlich einwandfrei, jedoch überlagert die grosszügig portionierte Kräuterbutter die delikaten Aromen der anderen Komponenten auf dem Teller nach einigen Gabeln etwas zu stark. Wie bei der Bouillabaisse zuvor, fehlt es auch hier auf Dauer ein wenig an Raffinesse.

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Den Hauptgang bestreitet die momentan schwer angesagte alte italienische Kuh mit Gemüse und Trüffeln. Das Fleisch ist fachmännisch gebraten, die Beilagen sind mit der gegebenen Sorgfalt behandelt worden, die Sauce ist von klassischer Provenienz. Alles in allem ein schmackhafter Hauptgang, der keinen Innovationspreis gewinnt, sondern ganz einfach gut schmeckt und von den tadellosen Produkten lebt, die zum Einsatz kommen.

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Das erste Dessert ist ein dekonstruierter Apfelkuchen mit Vanilleglace, der enorm von der Separierung der Kuchenelemente profitiert. So ergibt sich die Möglichkeit, sich seinen eigenen Apfelkuchen neu zusammenzubasteln. Wer beispielsweise keine Rosinen in seinem Dessert mag, kann sie hier einfach weglassen. Wenn man sich mal seine Wunschgabel zusammengestellt hat, überzeugt dieses Ensemble durch eine ungewöhnlich anmutende Frische, gepaart mit einer Leichtigkeit, die man sonst in so einem vollmundigen Geschmacksbild eher selten findet. Ausgezeichnet!

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Schokolade, Erdnuss, Karamell mit Fleur de Sel und Kalamansi befriedigt zum Schluss auch noch allfällig vorhandene Schokogelüste. Die geschickt eingesetzte Kalamansi sorgt dafür, dass diese Süssspeise nicht allzu schwer daherkommt, wenngleich man das Gericht sicherlich als füllig und füllend bezeichnen kann. Doch dank der schön abgestimmten Proportionen und den willkommenen Säurespitzen der Zitrusfrucht macht sich weder Langeweile breit, noch meldet sich die eigentlich schon starke Sättigung zu Wort. So ist das Dessert im Nu verputzt.

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Um das üppige Mahl abzuschliessen, bitte ich Armando Archundia um einen kleinen Magenaufräumer in Form eines Mezcals. Nach einigen sehr lehrreichen Minuten mit dem aus Mexiko stammenden Chef de Bar, sieht mein Tisch so aus...

Das Gustav muss man einfach mögen. Die geschäftige Atmosphäre, die das bunt durchmischte Publikum ins Restaurant bringt, sorgt für eine lebendige Energie im Speisesaal. Gourmets trifft man hier ebenso an wie grössere Gruppen oder Paare, die nach dem Einkauf noch gemeinsam ein leckeres Stück Fleisch und ein Dessert bei einem Glas Wein geniessen wollen. Trotz des regen Treibens hat man an seinem Tisch eine angenehm ungestörte Atmosphäre und kann in Ruhe geniessen. Denn dazu ist man schliesslich hier. Die Küche von Antontio Colaianni überzeugt durch verständliche Geschmackskombinationen, ohne dabei ins beliebige abzudriften. Mit der Kaninchenterrine und dem Couscous waren sogar zwei veritable Highlights im Menü. Zusammen mit der neuen Champagnerkarte Grund genug, in Zukunft regelmässig hier einzukehren...


GUSTAV Restaurant
Gustav-Gull-Platz 5
8004 Zürich
Schweiz
+41 44 250 65 00
Website


Mein Besuch wurde vom Restaurant unterstützt.