Rössli (Stefan Wiesner) - Escholzmatt

Rössli (Stefan Wiesner) - Escholzmatt

Der Hexer. Wie kann so ein Name keine Neugier auslösen. Noch dazu, wenn es sich um einen Koch handelt. Bereits als ich meine damals noch nicht absehbare Fresskarriere gestartet habe, zu Beginn der Nullerjahre, tauchte der Name des Hexers alias Stefan Wiesner und seines Restaurants Rössli in Escholzmatt in den einschlägigen Guides auf. 2003 hat er sein erstes Kochbuch “Gold Holz Stein“ veröffentlicht, in dem er eine Suppe aus Schnee zubereitete, Teer in seine Gerichte einfliessen liess usw., usf. Als junger Fresser ist die Neugier durch sowas natürlich sofort geweckt. Doch obwohl ich von Wiesner und seiner avantgardistischen Natureküche, wie er sie nennt, fasziniert war, und sein erstes Buch sowie das Folgewerk regelrecht verschlungen habe, hat sich eine Reise ins Entlebuch nie ergeben. Zum Teil wahrscheinlich deshalb, weil ich trotz der Faszination eine gewisse Skepsis gegenüber der Küche des Hexers hegte. Wird hier nicht Effekthascherei betrieben und die Geschichte eines jeden Gerichts über das eigentlich Wichtigste gestellt, nämlich den Geschmack? Nun, nach gut 15 Jahren Denkzeit ist es endlich soweit. An einem saukalten, regnerischen Sonntagmittag mache ich mich endlich auf den Weg ins UNESCO Biosphärenreservat Entlebuch, das sich zwischen Luzern und Bern befindet, in die Heimat des Hexers.
Einmal am Tisch Platz genommen erscheint Wiesner aus der Küche und startet einen relativ ausführlichen, aber durchaus spannenden Monolog über hauptsächlich sich selbst, seine Küche, seine Errungenschaften und erläutert auch den Ablauf des Lunchs. Alle Tische bekommen ihre Teller zeitgleich serviert, der Hexer kommt dann jeweils aus seinem Hexenhaus in die Stube und erklärt alles. Na dann mal los!

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Wiesner wechselt sein Menü mehrmals jährlich komplett durch und nutzt jeweils einen Themenaufhänger. Heute ist das “75 Jahre Land Rover” (!). Die Erklärung dazu fällt einerseits relativ simpel aus - Wiesner fährt mit seinem Land Rover Defender jeweils zum Sammeln der im Restaurant verwendeten Produkte in die Natur - zum anderen ist sie doch eher ungewöhnlich - er hat auch schon mal ein Auto gekocht. Weil die Menübeschreibung den Ausführungen des Meisters in nichts nachstehen, gibt es sie nachfolgend im Artikel immer komplett niedergeschrieben.
Den Auftakt macht “Unser Werner-Hefe-Sauerteigbrot mit Bier von der Brauerei Eichhof – Napfbutter mit Buchenholzkohle, Buchenholzkohlerauch und Buchenholzkohledestillat – Mit Heu mazeriertes Rapsöl und Heurauch – Alpkäse mit Kohldistelsauce”. Dieses Ensemble steht nicht unbedingt in Verdacht, direkt ein Ausrufezeichen zu setzen. Doch während alle Komponenten durch sorfgältiges Handwerk und sehr gute Qualität überzeugen, zeigt der unscheinbare Käse mit Sauce direkt eine ultra-komplexe, neuartige Geschmackswelt. Meine Synapsen drohen vor lauter aromatischen Informationen, die ich aufnehmen und verarbeiten muss, zu kollabieren. Und es schmeckt so verdammt gut, dass ich gar nicht die Finger davon lassen kann. Zum Glück gibt’s nur ein kleines Stück davon, denn es besteht die reale Gefahr, dass ich mich hieran bereits satt essen würde. Wow!

Nun gibt’s ein wenig Action im Restaurant. Ein Sägeblock wird aufgestellt, auf dem in einem martialisch wirkenden Akt gebackene Oberschenkelknochen vom Simmentaler Rind zersägt werden. Hat man auch schon anderswo so gesehen und Wiesner bezeichnet das Ganze auch als Hommage an Magnus Nilsson. Auf dem Tisch landen schliesslich “Gebackene Simmentaler Rindsoberschenkelknochen mit fermentierter Kräutermarksauce und Aschensalz aus dem Feuerring”. Damit kann man bei mir wenig falsch machen. Einerseits wunderbar rustikal und wild, andererseits geradezu unverschämt üppig luxuriös. Klasse.

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Ähnlich simplistisch und zurückgenommen präsentiert sich die “Rande aus dem Feuerring mit Wacholderholz, grünes Wacholderbeerensalz, karamellisierte Wacholderbeeren, mit Gin beträufelte und angezündtete Wacholdernadel”. Die Rübe hat einen angenehmen Biss und versprüht diese typisch erdige Süsse, die sie auszeichnet. Obwohl der Wacholder in mannigfaltiger Form zum Einsatz kommt, überlagert das Zypressengewächs die Bete nicht, sondern erweitert das Geschmacksspektrum um zahlreiche Facetten. Wichtig ist in diesem Fall auch die verkohlte Schale des Gemüses, die auf erstaunlich dezente aber doch präsente Weise für zusätzliche Tiefe sorgt. Ziemlich beeindruckend.

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Weiter geht’s mit “Reh vom bösen Wolf gefressen - Rehhornsalz, gebackene und fermentierte Arvennadeln, Arvenholzmiso, geröstete Arvennüssli, gebackene und süss-sauer eingelegte Arvenflechten, Arvenessig und frische Arvennadeln”. Regelmässige Leser werden es wissen, ich bin kein grosser Freund von Tatar. Ich lasse mich aber auch immer wieder gerne mal von exzellenten Interpretationen wie dieser eines Besseren belehren. Hauptsächlich verantwortlich für das gute Gelingen ist das exzellente Wild, das zwar sehr aromatisch ist, zugleich aber auch enorm fein wirkt (und funktioniert, obwohl das “Wolfen” des Fleisches bei Tatar ja eigentlich als No-No gilt). Gekonnt betont wird der Wildgeschmack durch das Salz, während die zahlreichen Präparationen der Arve ein weites Spektrum von erdig-waldig bis erquickend-säuerlich bespielt. Spannend, fordernd und verdammt gut.

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“Geschmorter Butternusskürbis, Schmorsauce, von den Ameisen bearbeiteter Kürbis als Püree, eingelegter Kürbis, Kürbisblätterpesto, gebackene Kürbisblätter, geröstete Kürbiskerne, karamellisierte Kürbisschale” setzt den Reigen von exotischen Zutaten bzw. Zubereitungen munter fort, zeigt aber auch erstmals die immer wieder auftretende Schwäche solcher Kreationen. Hier scheint die Geschichte rund um das Gericht wichtiger als das, was letztendlich auf dem Teller landet. Auch wenn die Ameisen hier lediglich den Kürbis “bearbeitet” haben und nicht als Zutat zu finden sind, lässt sich ihr Impact nicht erschmecken. Zumindest, wenn man schon mal Ameisen für sich oder als Würzelement gegessen hat (zum Beispiel hier), wo ihr eigenes Aroma natürlich eine integrale Rolle spielt. In diesem Fall lag der Kürbis im Ameisenhaufen, wurde von den Ameisen angeknabbert und ihr Sekret dabei an den Kürbis abgegeben. Dazu gibt es eine Deklination des orangen Riesen, die aber hauptsächlich nussig und süss schmeckt. Also ganz einfach so, wie ein Kürbis schmeckt. Das ist zwar durchaus schmackhaft, aber nichts, was man unbedingt wieder essen möchte, geschweige denn, was im Gedächtnis haften bleibt. Hier wäre auf jeden Fall mehr dringelegen.

Es folgt ein weiterer Gang, bei dem die Idee und die Bilder, die beim Annoncieren vermittelt werden, wichtiger zu sein scheint als das Endprodukt auf dem Teller. Oder besser gesagt in der Mini-Metallbadewanne: “Forelle mit Moos und Bachkieselsteinen, Bachkresse, Steinsalz, Bachwasser, Champagner und Kastanien”. Zwar ist der Fisch von erkennbar exzellenter Qualität, doch die Einfassung fällt so zurückhaltend aus, dass man hier eher von flüchtigen Aromen sprechen muss. Einzig die Bachkresse schiesst mit ihrer scharfen Senfigkeit ins ruhige Gewässer. So entsteht natürlich kein harmonisches Ganzes, sondern halt ein zweifellos sehr gutes Hauptprodukt in kaum wahrnehmbarer Umgebung mit scharfem Schuss.

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Von einem ganz anderen Kaliber ist das “Geflügelleberparfait gewürzt mit Rosenwasser, übergossen mit Bienenwachs, Vogelbeerblättergelée, eingelegte Vogelbeeren, Vogelbeerdestillat, Propolis, Vogelbeerrauch”. Schon der Rauch unter der Cloche lässt einen erahnen, dass es nun etwas deftiger wird. Mit geräucherten Elementen ist das ja immer so eine Sache, denn der Rauch begräbt gerne so ziemlich alles unter sich, was sich ihm in den Weg stellt. Doch Wiesner findet genau das richtige Mass, damit der Rauch als das wahrgenommen wird, was er sein soll: ein weiteres, ergänzendes Element und keine Lawine. Im Vordergrund steht die rustikal anmutende, wuchtige Leber, die den Rauch gut vertragen kann. Dieser unerwartet heftigen Kombo wird die Säure der Vogelbeere entgegengestellt, die dem Ganzen Balance verleiht. Gar nicht so einfach, denn es ist ziemlich viel los in diesem Arrangement und somit schmeckt auch fast jede Gabel anders. Was jedoch jeden Bissen vereint ist die Grossartigkeit der Idee und Umsetzung. Anders gesagt, es schmeckt ganz hervorragend.

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Wurst als Hauptgang im Sternerestaurant? Genau nach meinem Geschmack. Weg vom immer gleichen Einerlei aus rotem Fleisch mit brauner Sauce. Wiesner ist Wurstfanatiker und serviert heute eine “Wollschweinwurst in der Butte mit Kümmel, Mazis, Nelke, weisser Pfeffer, gegart in Merlot und einem Hauch von Teer, Wollschweinspeck mariniert mit Merlot und Eichenblättern, wilder Kümmel und Mauerpfeffer, Trüffelhack in Schweineschmalz geschwenkt, Kümmelsauce und gemahlene Eicheln”. Saftig und mit pinkem Kern zeigt der runde Fleischball bereits, dass der Hexer mit seiner Vorliebe für gewolftes Fleisch erneut genau richtig liegt. Passend zur Jahreszeit zeigt sich das Ensemble dunkel, erdig, kräftig, mollig und dank Trüffel und Merlot trotz der willkommenen Rustikalität (ein wiederkehrendes Thema im Rössli) durchaus elegant und luxuriös. Sehr gut!

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Auf das, was jetzt folgt, bin ich nicht vorbereitet. Nach dem Hauptgang wird ein Holzgestell ins Restaurant gekarrt, auf dem gegen die 80 (!) verschiedene Käse liegen. Die schiere Menge an fein gereiften Erzeugnissen ist überwältigend. Um mich nicht komplett im Käsewahn zu verlieren, bitte ich den Chef, mir eine kleine Selektion seiner imposanten Auswahl zusammenzustellen, während ich dieses herrliche Bild weiter mit offenem Mund betrachte.

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“Darf’s im Dessert ein bisschen Blut sein?”. So ähnlich hörte sich die Frage des Service vor einigen Stunden an, als nach allfälligen Unverträglichkeiten und Abneigungen gefragt wurde. Natürlich darf es ein bisschen Blut sein! Von einem Trend zu sprechen würde sicherlich zu weit gehen, dennoch trifft man immer wieder mal in Fine Dining Läden auf Blut im Dessert, beispielsweise im Berliner Horváth oder auch im Frantzén in Stockholm. In Escholzmatt fällt der Einsatz des tiefroten Lebenselixiers jedoch weitaus prominenter aus, als in den zuvor genannten. Es gibt nämlich einen ”Flan aus Wasserbüffelblut, schwarzem Holunder und rotem Holundergelée, Holunderblütenluftgebäck, Büffelbuttercrumble und karamellisierter Büffeljerkychip”. Hört sich bei der Annoncierung zwar spannend an, aber auch nur bedingt lecker. Wie schön es doch ist, wenn eigene Annahmen oder gar Vorurteile widerlegt werden. Die samtene, mundfüllende Textur, der sehr subtil-warm-metallische Geschmack des Blutes, die fragile, florale Kräuterigkeit des Holunders sowie der süss-nussige Umami-Crunch im Horn - wow! Was für eine herausragend gute Kreation und einer der Höhepunkte des Lunchs.

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Ebenfalls sehr gelungen ist das “Glacé mit Kefir aus der Rohmilch vom Wasserbüffel, Alpenrosenblätter mit Traubenkernöl fermentiert, geeiste Alpenrosenblüten”. Im Mittelpunkt steht das gelungene Zusammenspiel von cremigem Eis und der orientalisch angehauchter Rose, das trotz der optischen Einfachheit keineswegs simpel daherkommt. Im Gegenteil scheint das zweite Dessert trotz zweifellos ausgeprägtem Wohlgeschmack auch die Hirnzellen nochmal fordern zu wollen. Komplex und einnehmend sind vor allem die verschiedenen aromatischen Schichten der Rose. Ein Eindruck, der durch den Kefir im Glacé zusätzlich befeuert wird. Klasse.

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Auch bei den Petits Fours zum Espresso lässt man sich in Sachen Einfallsreichtum nicht lumpen. “Praline mit Torf, wilder Schokolade, Milch und Langenthaler Whisky - Gelbe Enzianwurzel-Eiswolken” beschliessen das Mittagessen im Rössli mit einem letzten Hoch.

Ein bisschen besorgt war ich schon, als ich vor ein paar Stunden das erste Mal einen Fuss in die Welt des Hexers gesetzt habe. Zwar wusste nicht jeder Teller aus der Rössli Küche zu überzeugen - was ich übrigens auch nicht erwartet habe - Wiesner vermeidet jedoch viele Falltüren, die bei einer vornehmlich auf Show und das Erzählertum basierenden Küche lauern. Ganz einfach, weil er eben nicht nur ein Hexer, sondern vor allem ein exzellenter Koch ist. Kombiniert mit seiner Neugier, dem Ideenreichtum und der Erfahrung sind spannende, genussreiche Stunden fast garantiert. Viel mehr muss ich an dieser Stelle eigentlich gar nicht mehr erzählen, denn es gibt nur ein Fazit zum Hexer und seinem Rössli in Escholzmatt: hingehen und erleben.


Rössli
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6182 Escholzmatt
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