Villa Retiro (Fran López) - Xerta

Villa Retiro (Fran López) - Xerta

Hierhin verirrt man sich nicht einfach so. Die nächste nennenswerte Stadt, Tarragona, liegt bereits über eine Autostunde entfernt von Xerta, wie das Örtchen im Katalanischen heisst, bzw. Cherta in Spanisch. Im hügeligen Niemandsland zwischen Barcelona und Valencia ist man stark mit dem Delta des Ebre verbunden. Dem Fluss - der zweitlängste Spaniens - kommt für die Menschen in seinem Umland seit jeher eine tragende Bedeutung zu. Seinen Namen bekam er wohl zu Zeiten des zweiten punischen Krieges, also noch in vorchristlicher Zeit. Das Land, das ihn von Xerta in Richtung Meer umgibt ist hügelig und satt grün. Eine verheissungsvolle Kombination für eine gelungene Terroirküche. Genau eine solche pflegt Chef Fran López, seitdem er das alte Herrenhaus gemeinsam mit seinem Bruder übernommen hat. Bevor die Familie der beiden das Land gekauft und zum Hotel- und Gastronomiebetrieb umgebaut hat, stand der angehende Chef über mehrere Jahre in der dreifach besternten Plaza Athenée unter Alain Ducasse am Herd, um sich seine Sporen abzuverdienen. Zurück in Spanien erkochte er sich im zarten Alter von nur 26 Jahren bereits den ersten Stern für das Restaurant der Villa Retiro, den er bis heute hält. Mittlerweile betreibt er in Barcelona zusätzlich das ebenfalls besternte “Xerta”, wo er seinen Gästen wie im Stammhaus die Schätze des Ebre Deltas näherbringen möchte.
Nach einem Tag des fröhlichen Nichtstuns am Pool meldet sich der Hunger viel früher als er eigentlich sollte. Am Tag nach der Ankunft in Spanien hat sich meine innere Uhr noch nicht an die reichlich späte Zeit gewöhnt, zu der man hierzulande zu Abend isst. Die Wartezeit bis das Restaurant öffnet muss ich wohl oder übel mit ein, zwei kühlenden Getränken überbrücken. Naja, es könnte schlimmer sein. Als ich mich zu später Stunde überpünktlich am Tisch einfinde, lässt die kulinarische Ouvertüre zum Glück nicht mehr lange auf sich warten.

Den Start macht eine Collage von Snacks verteilt auf einem rostigen Brett, das eine Landkarte darstellt, einem weiss bepinselten Stück Holz sowie einem Astgebilde mit Drahtgestell. Von den acht Kleinigkeiten stechen vor allem die auf dem Löffel liegende, mit Muscheln und Algen gefüllte Sphäre, ein mit Aal gefülltes, frittiertes Bällchen und der mit einer ausgelösten Miesmuschel belegte Käsechip heraus. Alle vereint das intensive Aroma des jeweils wunderbar klar herausgeaerbeiten, hochwertigen Produkts, das klar in den Mittelpunkt gestellt werden soll. Doch auch die restlichen Kleinigkeiten sind nicht zu verachten. Ein schöner Auftakt.

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Weiteres Vorgeplänkel ist nicht vorgesehen, weshalb die Küche mit Thunfischbauch, frittierter Wantanteig, Zitrusfrüchte und schwarzer Knoblauch direkt im Anschluss den ersten Gang schickt. Klingt stimmig, nur der Wantanteig macht mir etwas Sorgen. Jedoch absolut unbegründet, wie sich schnell zeigt. Bestechend ist zuerstmal die Qualität des atlantischen Blauflossenthunfischs. Buttrig-zart natürlich und mit einem höchst delikaten Geschmack gesegnet. Obwohl dieses Exemplar von Balfegó stammt, dem aktuell wohl gefragtesten Zulieferer von Thunfisch in Europa, und ich dieses Produkt schon dutzendfach gegessen habe, muss ich konstatieren, dass mir anderso noch nie eine solch grandiose Qualität vorgesetzt wurde. Unfassbar gut. Während der Knoblauch den Umami-Eindruck gekonnt verstärkt, bieten die vorsichtig dosierten Zitrsfrüchte den benötigten Gegenpol, um eine gewisse Leichtigkeit ins Spiel zu bringen und das viele Fett zu parieren. Genau in diesem Punkt bestätigt sich auch meine Befürchtung bezüglich des frittierten Teigs nicht. Er ist nämlich perfekt zubereitet und bringt nur seine willkommene Knusprigkeit ein, ohne Frittenbuden-Störgeräusche. Sehr schön.

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Dass Fran López prägende Jahre in Frankreich verbracht hat, zeigt die nun folgende Foie Gras Terrine mit Gewürzbrot und Zitrus. Sowas sorgt natürlich nicht gerade für überschwängliche Vorfreude oder gar Spannung. Dennoch muss man in diesem Fall anerkennen, dass diese erprobte Kombination stimmig inszeniert, die Terrine handwerklich vorbildlich gearbeitet und die Feinjustierung sehr präzise ist. Für etwas, was ich in ähnlicher Form schon unzählige Male gegessen habe und eigentlich nur noch als Teil eines Menüs esse, ist das wirklich gelungen und schmeckt.

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Noch weiter nach Norden schielt die Küche beim Kabeljau mit Langoustine, Zuckerschote und Perlzwiebel. Bereits bei der Foie fragte ich mich, was das noch mit dem Ebre Delta zu tun hat, schob aber die Inspiration dafür als Hommage an López längeren Aufenthalt in Frankreich zur Seite. Doch was Kabeljau in dieser Ausprägung hier verloren hat, erschliesst sich mir in diesem Moment nicht. Wenn, dann müsste es wohl Bacalau sein. Aber sei’s drum. Verwendet wird vom Fisch nicht nur das Filet, sondern auch die Innereien, was für eine etwas “fischigere” und strengere Note sorgt. Muss man nicht mögen, mir persönlich gefällt das eigentlich immer ganz gut. Zusammen mit der maritimen Süsse des Kaisergranats ergibt sich dadurch ein angenehm jodig-meeriges Bild, das von der Süsse der beiden Gemüse schön komplementiert wird. Gut.

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Reis spielt in Spanien bereits seit mehr als 1’000 Jahren eine Rolle in der Küche, seitdem die Mauren hier mit der Kultivierung der Pflanze begannen. Da Valencia - Heimat der Paella - keine zwei Autostunden entfernt liegt, spielt das weisse Gold in dieser Gegend eine besondere Rolle. Der Chef nähert sich dem Thema spielerisch und weltoffen, indem er die Körner zu “Delta Sushi” verarbeitet. Das sind “falsche” Nigiri aus Meeresfrüchtereis, die mit Thunfischbauch, gegrilltem Aal und Garnele getoppt werden. Nicht nur der Duft erinnert stark an eine frisch über dem Feuer in der Kasserolle zubereitete Meeresfrüchtepaella, alles auf diesem Teller schreit förmlich danach. Perfekt gekochter Reis, mit etwas Biss und herrlich tiefem, komplexem Aroma dank des Kochens im Fond. Die Auflagen sind qualiativ ebenfalls von höchster Güteklasse und harmonieren naturgmeäss prächtig mit dem Reis. Tolle Idee, grandios umgesetzt.

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Wildfang Wolfsbarsch, Calçots, Zitrusfrüchte, Fenchel und Dill sind die Komponenten des nun folgenden Arrangements. Obwohl der Fisch von guter, wenn auch nicht herausragender, Qualität ist, will dieser Gang nicht so richtig zünden. Dazu ist die Geschmackswelt, die den Meeresbewohner umgibt, zu artifiziell. Daran sind einerseits die angedickten Tupfer und Striche schuld, die nur für sich stehen und nicht zusammengeführt werden wollen (oder können) und andererseits dieses undefinierbare Röllchen links im Bild. Abgesehen davon, dass es ein wenig Textur auf den Teller bringt - keine sehr angenehme allerdings, da nach dem ersten Crunch nur noch Bröseliges am Gaumen klebt - ist dieses Gebilde so krass überwürzt und damit so fehl am Platz, wie es optisch bereits wirkt. Ich halte mich vornehmlich an den Fisch und tupfe ihn ein wenig in die Kleckse. Der Abwechslung wegen, nicht weil es sonderlich gut schmecken würde.

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Als Hauptgang wird, endlich mal, kein rotes Fleisch serviert, sondern Kalbsbries mit Morcheln und Pesto. In Kombination mit dem Pesto ein reichlich ungewöhnliches Gericht, das auch nur bedingt zu überzeugen vermag. Während das Bries und die Pilze gut zusammen passen, stört beim Bries die etwas schleimige Textur und das für mich fehlende knusprige Äussere. In meinen Augen eine der grössten Freuden bei einem perfekt zubereiten Stück Bries. Zusätzlich erweist sich der Einsatz von Pesto in diesem Kontext als zwar interessante Beigabe, doch ich bin mir, auch nachdem ich aufgegessen habe, nicht sicher, ob diese spezifische Art von typischer Basilikum-Kräuterigkeit wirklich der beste Partner für Bries und Morcheln ist.

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Der Chef sieht wohl die Fragezeichen auf meiner Stirn bezüglich des Hauptgangs und fragt, ob er noch einen weiteren Teller schicken soll. Nachdem ich brav bejahe, steht kurze Zeit später Wildschwein mit Kuh-Tatar, Salbei und Cidre vor mir. Kleiner werden die Fragezeichen mit diesem Teller sicher nicht. Wie kommt man nur darauf, gebratenes Fleisch noch mit Tatar zu füllen? Das klingt richtig wild. Und nicht auf die gute, entdeckenswerte Art. Gnädigerweise erweist sich dieses andersartige Konglomerat als durchaus essbar. Schwein, Cidre und Salbei funktionieren zusammen und ergeben ein süffiges Ganzes, dem dank des Cidre eine gewisse Leichtigkeit innewohnt. Über das Tatar komme ich, obwohl man es zum Glück kaum bemerkt, trotzdem nicht hinweg. Diese Kombnation wird sich für immer in mein Hirn einbrennen. Ob das dann rückblickend zu einer positiven oder negativen Bewertung führt, sei mal dahingestellt.

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Mandelbaum 2.0 nennt sich der Eintieg ins süsse Universum der Villa Retiro. Es handelt sich hierbei um diverse Präparationen des Rosengewächses, die mit Schoklade (Ummantelung und Ast) und einigen Früchten kombiniert werden. Auch wenn es optisch nicht unbedingt so daherkommt, ist das ein Dessert klassischer Provenienz. Der Dreiklang von Schoki, etwas Nussigem sowie etwas Fruchtigem ist ein erprobter, der in diesem Fall besonders stimmig umgesetzt wurde. Denn die Mandeln stehen zu jederzeit im Fokus und werden von den restlichen Komponenten lediglich untermalt. Das ergibt ein verhältnismässig zartes aromatisches Gebilde mit einer einnehmenden aber zugleich zugänglichen Komplexität. Ganz hervorragend.

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Für erneutes Stirnrunzeln sorgt die Präsentation des zweiten Desserts. Doch es steckt natürlich etwas dahinter. Diese Kreation ist nämlich der weissen Garnacha Traube gewidmet. Das erklärt zumindest mal die Weinflasche. Was allerdings die Lichterkette dort drin zu suchen hat, warum das Ganze in einer Kiste aufgetragen wird und wieso das zu Essende dann auf einem ziemlich abgenutzt wirkenden Plexiglas angerichtet wird, erschliesst sich mir nicht. Doch zum Wesentlichen, dem Dessert. Die Idee besteht darin, das Geschmacksprofil der Grenache blanc, wie die Traube in unseren Gefilden genannt wird, abzubilden. Dieses Vorhaben gelingt allerdings nur bedingt. Denn der eindimensionale und etwas trockene Cake absorbiert die anderen Aromen, sofern sie denn überhaupt vorhanden sind, fast komplett. Eigentlich gefällt mir die Idee ziemlich gut, die Umsetzung allerdings lässt zu wünschen übrig. Oder vielleicht habe ich einfach noch nicht genug süsslich-pampigen Garnacha Blanca getrunken im meinem Leben, um das hier verstehen zu können.

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Auf einem sehr hübschen Servierwagen werden zum Abschluss noch einige Petits Fours angerollt.

Fran López Küche gleicht einer gemächlichen Fahrt auf einer Bahn für Kinder im Vergnügungspark. Mit Aufs und Abs, einigen schnelleren, vergnüglicheren Passagen aber auch ein paar eher langweiligen Momenten wo man sich fragt, warum man nicht bei einer anderen Attraktion Schlange gestanden ist. Im Englischen gibt es einen sehr akkuraten Begriff für das heute erlebte: “mixed bag”. In den besten Momenten überzeugt die Küche der Villa Retiro mit hervorragenden Produkten und charmanten Ideen in tadelloser Umsetzung (Thunfisch, Delta Sushi, Mandelbaum). Zum Teil tragen die Kreationen, oder zumindest einzelne Elemente eines Gerichts, aber schon kleinere bis grössere Mängel mit sich, die dann auch für die entsprechenden Schwankungen im Menü sorgen. Die Villa Retiro ist somit eigentlich ein ziemlich sortenreiner, spanischer Einsterner mit allen Stärken und Schwächen. Ist man in der Gegend, ist das Restaurant - vor allem auch kombiniert mit einem Aufenthalt im Hotel - einen Stopp wert.


Villa Retiro
Carrer Cami dels Molins 2
43592 Xerta
Spanien
+34 977 47 38 10
Website


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